Im Mai 2024 ging ein Handyvideo viral, in dem zu sehen ist, wie junge Menschen in einer Diskothek auf der Insel Sylt zu dem Lied „L’amour toujours“ den fremdenfeindlichen Text „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen“ singen.
Das Video wurde tausendfach geteilt und löste eine Diskussion über Rassismus in der Gesellschaft aus. Florian Galbarz, Referent für schulische Medienbildung, und Dr. Sebastian Stoppe, Referent für Online-Kommunikation, vom Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt ordnen den Vorfall ein.
Warum wird ausgerechnet dieses Lied mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Verbindung gebracht?
Stoppe: „L’amour toujours“ ist ein Dance-Titel des italienischen Musikproduzenten Gigi d’Agostino, der bereits 1999 veröffentlicht wurde. Das Lied ist also weder neu noch in irgendeiner Weise dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen.
Offenbar wird das Lied in rechtsextremen Kreisen mindestens seit Herbst 2023 mit dem fremdenfeindlichen Text benutzt. Es ist ja kein neues Phänomen, Lieder mit neuen Texten zu versehen und auf Partys oder in Discos zu singen. Neu ist aber, dass diese Veranstaltungen gefilmt und im Internet verbreitet werden und damit eine größere Aufmerksamkeit erlangen.
"Distracted Boyfriend Meme" von Antonio Guillem / Lizenz: Keine Lizenz
Galbarz: Ein Lied mit einem rassistischen Text zu versehen ist ein Beispiel für rechtsextreme Memes. Memes sind einprägsame Kombinationen aus Bildern, Videos und Texten, die sich viral im Internet verbreiten (siehe Abb. links). In der Mehrzahl sind diese Memes humorvoll oder satirisch, sie spiegeln oft aktuelle Ereignisse, Trends oder kulturelle Phänomene wider und werden über soziale Medien, Foren und andere Online-Plattformen geteilt. Aber auch die rechtsextreme Szene nutzt eben Memes, um ihr Weltbild in den sozialen Medien zu transportieren. Wir beobachten, dass gerade auf Plattformen wie TikTok Akteure, welche rechtsextreme Parteien unterstützen, gezielt solche Inhalte platzieren, um antidemokratische Positionen auf eine subtile Art in die Gesellschaft zu tragen, junge Leute anzusprechen und die Grenzen des Sagbaren zu verschieben.
Wenn das Lied spätestens seit Herbst letzten Jahres in diesem Kontext genutzt wurde, warum hat dann erste das Sylt-Video eine so breite Debatte ausgelöst?
Galbarz: Bereits im November 2023 berichtete das Magazin Katapult über ein Video in den sozialen Medien, in dem das Lied auf einem Dorffest in Mecklenburg-Vorpommern skandiert wurde. Und auch danach wurden mehrere Fälle bekannt, die sich vor Sylt ereignet haben, etwa bei einer Feier nach einem AfD-Parteitag im Januar 2024 in Franken.
Stoppe: Dass die Diskussion nach dem Sylt-Video so intensiv wurde, liegt daran, dass wir es hier eben nicht mit stereotypen Rechtsextremen zu tun haben, sondern mit einer vermeintlichen Elite. Das waren Personen aus großbürgerlichen Familien in einer hochpreisigen Edeldisco. Dabei zeigt das Video nur, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in allen Gesellschaftsschichten und Regionen Deutschlands anzutreffen sind und Bildung oder finanzielle Unabhängigkeit keine Garantie dafür sind, dass rechtsextremes Gedankengut nicht auf fruchtbaren Boden fällt. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und deshalb waren die Reaktionen so heftig.
Wie kann man mit diesem Vorfall im Speziellen und der Thematik allgemein im Unterricht umgehen?
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Galbarz: Zum einen ist es wichtig, sich in der Schule aktiv mit sozialen Medien und ihren Auswirkungen auf die Nutzenden auseinanderzusetzen. Es hilft nicht, soziale Medien aus der Schule zu verbannen oder sie zu ignorieren. Im Gegenteil: Gerade das aktive Thematisieren in der Schule hilft den Lernenden ja, Kompetenzen zu entwickeln, um demokratiefeindliche Inhalte zu erkennen. Soziale Medien sind eine gesellschaftliche Realität, mit der auch Schule umgehen muss. Lehrkräfte sollten sich daher damit auseinandersetzen, welche Inhalte in sozialen Medien kursieren. Ein offenes Ohr für das, was die Schülerinnen und Schüler gerade bewegt, ist sehr wichtig. Mit eigenen Accounts bei Plattformen wie TikTok oder Instagram können Lehrkräfte zudem selbst das Geschehen verfolgen. Und schließlich gibt es sehr gute Angebote, die aktuelle Trends einordnen, wie den Newsletter Understanding TikTok von Marcus Bösch (HAW Hamburg) oder das Magazin „Mit offenen Augen“ von ARTE.
Stoppe: Auf der anderen Seite sind Schule und Lehrkräfte auch gefordert, Demokratiebildung zu betreiben und mit den Lernenden darüber zu diskutieren. Oft schrecken Lehrkräfte davor zurück, weil es Missverständnis gibt, man müsse sich in der Schule politisch neutral zu verhalten. Das Schulgesetz von Sachsen-Anhalt verpflichtet die Lehrkräfte aber gleich im ersten Paragraphen, die Schülerinnen und Schüler im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu erziehen. Das bedeutet, dass nicht einseitig für eine bestimmte Partei geworben werden darf, es bedeutet aber keineswegs, dass auch extremistische Positionen im Unterricht gleichermaßen und ohne Bewertung dargestellt werden müssen. Im Gegenteil: Gerade die Schule muss eine klare Haltung zur Demokratie und zu unseren Grundrechten zeigen.
Galbarz: Am 25. und 26. Oktober wird übrigens die emuKON | 24 diesmal mit dem Thema „Was läuft auf TikTok?“ stattfinden. Auf der Veranstaltung werden wir uns mit der Videoplattform beschäftigen und Anregungen für die schulische Medienbildung anbieten.