Der Religionsunterricht richtet sich auf das gesellschaftlich vorfindliche und identifizierbare Phänomen Religion bzw. Religionen sowie auf religiöse Praxis in unterschiedlichen Erscheinungsformen einschließlich der individuellen religiösen Überzeugungen und Ausdrucksgestalten3. Mehr anzeigen »
Sein Leitziel besteht in einem urteilsfähigen Zugang der Schülerinnen und Schüler zu Religion als einer Kultur des Verhaltens zum Unverfügbaren. Nicht die Verpflichtung auf einen Glauben, sondern die Befähigung zur Identifizierung und zum situativ angemessenen Gebrauch religiöser Sprache und religiösen Ausdrucks, auch in Analogie zu oder in Unterscheidung von anderen Modi des Weltverstehens, ist das Unterrichtsziel, das auf der Basis grundlegender Wissensbestände über folgende fünf Kompetenzbereiche als Dimensionen der Erschließung von Religion erreicht werden soll: Wahrnehmung und Darstellung, Deutung, Beurteilung, Kommunikation und Dialog, Gestaltung. Diese Kompetenzbereiche sind nicht überschneidungsfrei. Zudem erfolgt die Entwicklung der grundlegenden Kompetenzen religiöser Bildung nicht aus ihrer Addition, sondern aus ihrer Verflechtung und gemeinsamen Wirkung. Kompetenzen religiöser Bildung zielen auf die erlernbare und komplexe Fähigkeit zum verantwortlichen Umgang mit den eigenen religiösen Fragen und Haltungen in ihren verschiedenen Dimensionen und in ihren lebensgeschichtlichen Wandlungen. Der Lehrplan schließt an die in der Grundschule angebahnten prozessbezogenen Kompetenzen an und fördert die religiöse Wahrnehmungs-, Deutungs-, Urteils- und Gestaltungskompetenz. Von der Grundschule her sind die Schülerinnen und Schüler mit folgenden Kompetenzbereichen vertraut: Sinnangebote und Orientierungshilfen, Christliche Traditionen, Arbeiten mit der Bibel, Erschließen biblischer Texte, christliche Ethik, religiöse Sprache und Symbole.
Kompetenzen religiöser Bildung |
Wahrnehmung und Darstellung |
Deutung |
Beurteilung |
Kommunikation und Dialog |
Gestaltung |
Grundlegende Wissensbestände |
Abb.1: Kompetenzmodell für den Evangelischen Religionsunterricht
Wahrnehmung und Darstellung
Der Kompetenzbereich Wahrnehmung und Darstellung zielt auf die religiöse Sensibilität ab. Religiös bedeutsame Phänomene sollen als solche identifiziert und dargestellt werden können. Darstellen beschränkt sich nicht allein auf das sprachliche Beschreiben, sondern umfasst auch den non-verbalen Ausdruck in seinen verschiedenen Facetten.
Deutung
Der Kompetenzbereich Deutung zielt auf die hermeneutischen Grunddimensionen der Kognition ab: Religiös bedeutsame Sprache und Glaubenszeugnisse sollen verstanden und gedeutet werden. Verstehen und Deuten bezieht sich auf religiöse Inhaltlichkeit als Verfügung über Wissen und bereichsspezifische Orientierungs- und Deutungsmuster.
Beurteilung
Der Kompetenzbereich Beurteilung zielt auf das Erlangen einer eigenen begründeten Position zu religiösen Inhalten ab. Religiöse Argumente werden beurteilt und angewandt.
Kommunikation und Dialog
Der Kompetenzbereich Kommunikation und Dialog zielt auf die Sprach-, Interaktions- und Dialogfähigkeit der Schülerinnen und Schüler. Dem entspricht eine prinzipiell dialogisch angelegte Unterrichtskultur.
Gestaltung
Der Kompetenzbereich Gestaltung zielt auf den kreativen und handlungsorientierten Umgang mit den Inhalten religiöser Bildung. Darüber hinaus geht es um das Bedenken von Mitwirkungsmöglichkeiten und Engagement in Kirche und Gesellschaft. Das religiöse Ausdrucksverhalten wird durch die probeweise Übernahme religiöser Rollen und Handlungsmöglichkeiten gefördert.
Verflechtung der Kompetenzbereiche
Die genannten Kompetenzen entwickeln sich anhand konkreter Problemstellungen, die aus einem lebensnahen Zusammenhängen der Schülerinnen und Schüler stammen. Ihre Entwicklung wird schuljahrgangs- und abschlussbezogen in Kapitel 3 dargestellt. Bis zum Ende des Evangelischen Religionsunterrichts der Sekundarstufe I haben die Schülerinnen und Schüler durch die Verflechtung der fünf Kompetenzbereiche Kompetenzen religiöser Bildung erworben. Die Kompetenzbereiche sind nicht überschneidungsfrei, sondern sollen im unterrichtlichen Vollzug kontinuierlich vernetzt werden.
Kompetenzbereiche und Unterrichtsgestaltung
Weder Kompetenzbereiche noch -schwerpunkte stellen Unterrichtseinheiten dar. Diese werden in Abhängigkeit von den anthropogenen und soziokulturellen Unterrichtsvoraussetzungen von den Lehrkräften eigenverantwortlich konzipiert. Es ist sachgemäß, aus Teilaspekten der Kompetenzschwerpunkte Unterrichtseinheiten zu generieren.
Kompetenz-bereiche |
Kompetenzen |
Wahrnehmung und Darstellung |
religiös bedeutsame Phänomene wahrnehmen und beschreiben
- lebensgeschichtlich bedeutsame Situationen entdecken, in denen letzte Fragen nach Gott und den Menschen aufbrechen
- grundlegende religiöse Ausdrucksformen (Taufe, Passageriten, Beerdigung, Gebete, Mythen) wahrnehmen und in verschiedenen Kontexten wiedererkennen und einordnen
- ethische Herausforderungen in der individuellen Lebensgeschichte sowie in unterschiedlichen gesellschaftlichen Handlungsfeldern als religiös bedeutsame Entscheidungssituationen erkennen
- die geschichtliche Vielgestaltigkeit von Kirche und Religionen erkennen und einordnen
- die Botschaft Jesu von Nazaret im Spiegel seines Lebens entdecken
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Deutung |
religiös bedeutsame Sprache und Zeugnisse verstehen und deuten
- religiöse Sprachformen als Ausdruck existenzieller Erfahrungen verstehen (Beispiele: Gebet, Bekenntnis, Segen, Symbole, Lied)
- die Pluralität von Kirchen und Religionen als Ergebnis der Suche nach Wahrheit verstehen
- biblische Texte, die für den christlichen Glauben grundlegend sind, methodisch reflektiert auslegen
- theologische Texte sachgemäß erschließen
- ethische Probleme im Hinblick auf die Würde des Menschen deuten
- Jesu Botschaft in ihrer Bedeutung für die Gegenwart diskutieren
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Beurteilung |
in religiösen und ethischen Fragen begründet urteilen
- Gemeinsamkeiten von Konfessionen und Religionen sowie deren Unterschiede erklären und kriteriengeleitet bewerten
- die Menschenwürde theologisch begründen und als Grundwert in aktuellen ethischen Konflikten zur Geltung bringen
- im Kontext der Pluralität einen eigenen Standpunkt zu religiösen und ethischen Fragen einnehmen und argumentativ vertreten
- die Bedeutung von Jesu Tod und Auferstehung für das eigene Leben reflektieren
- lebensfeindliche und lebensförderliche Dimensionen von Religiosität erkennen und kritisch beurteilen
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Kommunikation und Dialog |
am religiösen Dialog und am Gespräch über Religionen argumentierend teilnehmen
- die Perspektive eines anderen einnehmen und in Bezug zum eigenen Standpunkt setzen
- Gemeinsamkeiten von religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sowie Unterschiede benennen und kommunizieren
- sich aus der Perspektive des christlichen Glaubens mit anderen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen argumentativ auseinandersetzen
- Kriterien für eine konstruktive Begegnung, die von Verständigung, Respekt und Anerkennung von Differenz geprägt ist, in dialogischen Situationen berücksichtigen
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Gestaltung |
religiös bedeutsame Ausdrucks- und Gestaltungsformen reflektiert verwenden
- typische Sprachformen der Bibel theologisch reflektiert transformieren
- Aspekten des christlichen Glaubens in textbezogenen Formen Ausdruck verleihen
- Ausdrucksformen des christlichen Glaubens erproben und ihren Gebrauch reflektieren
- religiöse Vorstellungen, Feiern gestalten
- religiös relevante Inhalte gestalterisch präsentieren
- sich diakonisch engagieren
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Kompetenzen religiöser Bildung, über die Schülerinnen und Schüler
am Ende des 10. Schuljahrgangs verfügen sollen
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Abb.2: Im Fach Evangelischer Religionsunterricht zu entwickelnde Kompetenzen
3 Vgl. zu diesen Ausführungen Fischer, D./Elsenbast, V.: Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung. Zur Entwicklung des evangelischen Religionsunterrichts durch Bildungsstandards für den Abschluss der Sekundarstufe I. Münster 2006.